Die schöpferische Kraft im Menschen

Wie die Bibel sie von an Anfang an darstellt

 

 

Gen 1,2: die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über dem Chaos und Gottes Geist schwang über dem Abgrund.

 

Dieser zweite Satz der Bibel enthält den Schlüssel zum Verständnis der gesamten Heiligen Schrift, sowohl des Alten wie des Neuen Testaments.

Der Satz davor, mit dem die Bibel beginnt, ist: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Dann kommt: „Die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über dem Chaos und Gottes Geist schwang über dem Abgrund.“ Und darauf folgt das, wovon die meisten Leute glauben, dass es der biblische Schöpfungsbericht ist.

Einem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass es, schon bevor von der Erschaffung von Sonne, Mond und Sterne die Rede ist, heißt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“

Also bevor Sonne, Mond und Sterne erschaffen wurden, waren Himmel und Erde schon da. Das bedeutet also, dass alles schon da war, bevor die Erzählung einsetzt, die uns als „Schöpfungsbericht“ bekannt ist.

 

Der sogenannte Schöpfungsbericht handelt also gar nicht von der Erschaffung der Welt, sondern von etwas anderem, weil Himmel und Erde ja schon da sind, bevor er beginnt.

Die Erde war also schon da. Das Problem war nur, dass sie wüst war und wirr, dass Finsternis herrschte und Chaos.

Wir merken schon, dass da von einer typisch menschlichen Situation die Rede ist. Manchmal sind wir in unserem Leben an einem Punkt, wo alles wüst ist und wirr, wo wir im Dunklen tappen und um uns her nur noch Chaos sehen. Fast jeder hat solche Situationen schon erlebt. Ein Problem ist aufgetaucht und wir haben keine Ahnung, wie wir es lösen sollen: wir empfinden nur Chaos und Finsternis. Vielleicht glauben wir sogar, wir wären am Ende, denn nichts funktioniert mehr so, wie wir es gewohnt sind. Wir wissen weder ein noch aus.

Genau von so einer Situation berichtet der sogenannte Schöpfungsbericht der Bibel – und vielleicht ist es an der Stelle nicht unwichtig zu bemerken, dass die Bibel das Weltende, also die Situation unmittelbar vor dem Wiedererscheinen des Messias ganz ähnlich beschreibt.

Doch der Autor des biblischen Schöpfungshymnus beruhigt uns sogleich, denn, wenn unser Leben wüst und wirr ist, nur noch Chaos und Finsternis, dann brauchen wir trotzdem keine Angst haben, denn die schöpferische Kraft, die Kraft, aus der die ganze Welt entstanden ist, arbeitet schon daran – deshalb das „Gottes Geist vibrierte oder schwang über dem Abgrund.“

 

Logisch überlegt, können wir sehen, dass es immer schon so gewesen ist: wenn im Laufe Geschichte der Welt ein Problem aufgetaucht ist, musste nicht ein Ingenieur kommen oder ein Mechaniker, um es zu reparieren, schließlich gab es vor den Menschen noch keine Ingenieure, und doch sind stets alle Probleme gelöst worden – weil die schöpferische Kraft immer schon da war.

 

So weit die Bibel. Für nicht biblische Gläubige erhebt sich jedoch die Frage: Kann es so etwas, wie eine schöpferische Kraft überhaupt geben – ist nicht einfach alles aus purem Zufall entstanden?

Die Welt besteht aus Atomen. Und die Atome bestehen aus einem Kern, um den sich mit rasender Geschwindigkeit elektrische Ladungen bewegen. Sogar was in unseren Augen völlig statisch erscheint, ist also in steter Bewegung. Nicht erst die Lebewesen sind in Bewegung, sondern schon vor den Lebewesen war alles in Bewegung. Und als ganze haben die Atome sich auch schon immer bewegt. Sie gehen mit anderen Verbindungen ein, lösen sich wieder und gehen neue Verbindungen ein. Atome verschmelzen sogar miteinander und setzen dabei ungeheure Energien frei, wie in einer Atombombe oder wie auf der Sonne, die leuchtet, weil dort andauernd Atome miteinander verschmelzen.

Auf der Erde verschmelzen die Atome normalerweise nicht, aber sie gehen chemische Verbindungen ein. Es ist als ob sie gewisse andere Atome mögen, weil sie sich mit ihnen verbinden, während sie andere nicht mögen, weil sie sich mit diesen nicht verbinden.

Alles, was wir hier auf der Erde sehen, ist alles entstanden weil die Atome chemische Verbindungen eingegangen sind. Überall ist alles voll von chemischen Verbindungen, die mit der Zeit immer komplizierter geworden sind, bis sie schließlich so gebaut waren, dass sie sich selbst reproduzieren konnten. Dann sind erste Lebewesen entstanden und aus ihnen hat sich alles weitere Leben entwickelt – und schließlich sind wir Menschen entstanden.

 

Und jedes Mal, wenn etwas Neues entstanden ist, gab es vorher ein Problem, eine Krise. Da war Chaos und Finsternis, zunächst für die beteiligten Kräfte und Atome und dann für die an der Entwicklung beteiligten Lebewesen.

Was hätte bei all diesen Gelegenheiten die aufgetretenen Probleme lösen können? Die Bibel nennt dieses Agens den Schöpfergott, heute sagen wir vielleicht besser „die schöpferische Kraft“. So etwas in der Art war offenbar immer schon da. Durch die schöpferische Kraft, könnte man sagen – ohne deshalb gleich kreationistisch zu sein oder von intelligentem Design reden zu müssen – sind die Atome auf die „Idee“ gekommen, dass sie sich miteinander verbinden können. Jedenfalls sind vom Urknall an auf irgendeine Weise stets alle Probleme gelöst worden – bis schließlich wir Menschen entstanden sind, weil die Affen Probleme hatten, die sie als Affen nicht lösen konnten. Sie brauchten dazu ein größeres Gehirn. Deshalb haben sie es bekommen. Das Ergebnis sind jetzt wir Menschen. Und wir können damit die Probleme lösen, die die Affen nicht lösen konnten.

 

Natürlich gibt es auch für uns Menschen immer wieder Probleme. Und manchmal ist unser ganzes Leben ein einziges Problem. Und wir wissen nicht, wie wir dieses Problem überleben können.

Genau das ist die Situation, von der die Bibel in ihrer zweiten Zeile spricht:

„Die Erde aber war wüst und wirr. Finsternis über dem Chaos.“ Das heißt, wir wissen weder ein noch aus. Wir wissen gar nichts mehr. Wir haben keine Ahnung, wie wir aus der Situation unbeschädigt herauskommen können.

 Doch genau da sagt uns die Bibel, dass wir keine Angst haben brauchen, denn die schöpferische Kraft, die bisher schon immer alle Problem gelöst hat, so dass daraus unsere so wunderbar geordnete Welt entstanden ist, diese schöpferische Kraft ist auch jetzt schon an der Arbeit: Sie schwingt, sie vibriert über dem tödlichen Abgrund des Chaos, der sich vor uns aufgetan hat. Und, indem die schöpferische Kraft über dem Chaos vibriert, kommt Ordnung in das Chaos – und das ist der Prozess, der in der Folge beschrieben wird.

 

Wenn Sie jetzt überlegen, wie es weitergehen muss, können Sie den biblischen Schöpfungsbericht auch gleich selber weiterschreiben.

Wenn Sie im Chaos sind und um Sie herum ist alles stockdunkel, sodass Sie nichts von Ihrem weiteren Weg sehen können, was wünschen Sie sich da? Es ist doch klar, dann wünschen Sie sich Licht, damit Sie etwas sehen können.

 Genau das sagt jetzt auch die Bibel. Die schöpferische Kraft in Ihnen sagt, was Sie jetzt brauchen, ist Licht.

In der Bibel heißt das: „Und Gott sprach, es werde Licht.“ Und Gott sah das Licht und dass es gut war.“ Das ist der erste Tag der Schöpfung.

Damit müssen wir unweigerlich immer anfangen, wenn wir ein Problem zu lösen haben: Zuerst müssen wir sehen können, was da überhaupt ist.

 

Dann geht es weiter, dann kommt der nächste Schritt. In der Bibel heißt es, jetzt, wo das Licht da ist, können wir anfangen, die Dinge zu unterscheiden. Die Bibel nennt die erste Unterscheidung „das Firmament“, das erste Feste in dem Chaos. Dieses erste Feste, der erste Unterschied, auf den es uns ankommt, ist der Unterschied zwischen unten und oben.

Die erste Unterscheidung kommt da her, dass wir ja auf dem Boden der Tatsachen stehen. Auch wenn wir diese Tatsachen noch gar nicht kennen, wissen wir doch, dass sie unsere Wirklichkeit sind. Leider ist diese Wirklichkeit gar nicht nett mit uns. Wir haben nämlich ein Problem mit der Wirklichkeit. Unsere Wirklichkeit ist ein einziges Chaos. Da wollen wir herauskommen. Aber weil schon etwas Licht in das Dunkel der Angelegenheit gekommen ist, können wir schon einen ersten Unterschied sehen. Wir „sehen“ nämlich, dass wir auf einem Boden chaotischer Tatsachen stehen.

Und was müssen wir in diesem Stadium der Problemlösung als zweites sehen? Wir müssen das sehen, was über den Tatsachen liegt, nämlich das, was wir eigentlich möchten, unseren Traum. Diese Unterscheidung ist das erste Feste, das wir durch das Licht erringen können. Unterscheiden zu können zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist das Firmament oder das Fundament alles Weiteren.

Anders ausgedrückt ist der zweite Schritt, den wir machen, der, dass wir unseren Blick aus dem Chaos, in dem wir stehen, erheben, und aufschauen zu unserem Traum, der zu diesem Zeitpunkt allerdings noch genauso verworren ist wie die Wirklichkeit, weil wir zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht genau wissen können, was wir überhaupt wollen könnten. Wir erkennen nur, dass es über der Wirklichkeit einen Bereich gibt, auf den wir zustreben. Die Bibel drückt das so aus:

„Gott machte also eine Unterscheidung und er schied das Chaos unterhalb vom Chaos oberhalb. Und so geschah es. Und das Chaos oberhalb nannte Gott Himmel.“ (Gen 1,7f.).

Durch das Licht konnten wir also in dem ganzen Chaos einen ersten Unterschied erkennen, nämlich den zwischen unserer Wirklichkeit unten und unseren Wünschen oben. Und das Reich der Wünsche nannte „Gott“ „Himmel“. Das, was wir erreichen möchten, nennen wir Himmel.

Nachdem wir jetzt diesen entscheidenden Unterschied zwischen Realität und Wünschen kennen, ist alles andere schon viel leichter. Wir brauchen nur noch genauer hinsehen, dann wird sich Schritt für Schritt zeigen, was wir weiter zu tun haben.

 

Mit dem (noch chaotischen) Wissen um unsere Wünsche werfen wir unseren nächsten Blick wieder auf das Problem, das wir haben – und sogleich sehen wir dort tatsächlich etwas Neues:

In der Bibel heißt es hier: „Dann sprach Gott: Das Chaos“ in der Bibel wird das Chaos „Wasser“ genannt, weil man darin genauso versinken kann, es heißt also: „das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es.“ (Gen 1,9).

Indem wir mit dem Wissen um unsere Wünsche das Chaos betrachten, beginnen Konturen sich abzuzeichnen, die uns weiterführen. Wir versinken nicht mehr im Chaos, denn „Land“ kommt in Sicht

Von nun an brauchen wir immer wieder nur genau hinschauen, und wir sehen den nächsten Schritt der Lösung.

Und wir wissen es auch gleich, wenn wir eine Lösung gefunden haben, denn sie fühlt sich gut an. Deshalb heißt es in dem Schöpfungslied immer wieder „Und Gott sah, dass es gut war.“

Mit jedem Schritt, oder wie es in der Bibel heißt, mit jedem Tag, kommen wir der Erfüllung unserer Wünsche einen Schritt näher. Alles wird auf diese Weise immer klarer und besser.

 

Die wichtigste Botschaft auf unserem Weg der Problemlösung ist vor allem das, was wir bereits im zweiten Vers gehört haben: Es gibt keinen Grund, dass wir uns angesichts der Dunkelheit und der Wirrheit von Angst beherrschen lassen. Wir können Vertrauen haben. Wir haben allen Grund, Vertrauen zu haben, weil die schöpferische Kraft immer mit dabei ist. Wir sind schließlich aus ihr entstanden als das Ergebnis von Milliarden von Jahren ihrer erfolgreichen Problemlösung. Da werden wir die Probleme, von denen wir jetzt umgeben sind, auch noch gelöst kriegen!

 

Darauf geht im Besonderen der Tag im biblischen „Schöpfungsbericht“ ein, an dem von der Erschaffung der Menschen die Rede ist.

So wie es auch vorher immer geheißen hat „Und Gott sprach“ – heißt es hier wieder „Gott sprach“.

Und jetzt spricht die schöpferische Kraft zu sich selbst: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. ...

1,27: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn.“

Die Bibel sagt also von uns Menschen, dass wir ein Bild von Gott sind, dreimal wiederholt sie das, damit wir es nicht ignorieren können. Die Aussage bedeutet ganz offenkundig: Wenn wir einen Menschen betrachten, dann sehen wir: Gott. Natürlich können wir diese wahre Natur des Menschen nur sehen, wenn wir wirklich genau hinschauen – dabei ist es nur logisch, denn wir sind ja das Schlussglied einer anfanglosen Kette erfolgreicher Problemlösungen der schöpferischen Kraft, mit anderen Worten: wir bestehen aus nichts als purer schöpferischer Kraft.

 

Al Hallaj, ein berühmter islamischer Heiliger, hat einmal gesagt: „da ist nichts als Allah unter meiner Kutte! Ein biblischer Heiliger könnte das Gleiche sagen: Wir bestehen aus purer schöpferischer Kraft. Und auch um uns herum ist nichts als schöpferische Kraft, wohin wir auch blicken.

Wir haben gesehen, dass schon die Bausteine der Materie aus purer schöpferischer Kraft bestehen, somit besteht alles nur aus schöpferischer Kraft. Deshalb ist die ganze Erde so wunderbar und schön. Wichtig für uns ist, zu erkennen, dass unser Leben genauso wunderbar und schön werden kann, wie unsere ganze Welt, wenn wir uns der schöpferischen Kraft einfach anvertrauen – so wie wir es gerade betrachtet haben: Wenn wir ein Problem haben, dann lassen wir zuerst Licht ins Dunkel. Dann fragen wir uns, was wir eigentlich wollen und dann gehen wir darauf zu, einen Schritt nach dem anderen.

 

Aus all dem ergibt sich, dass wir Menschen das Wunderbarste sind, was es gibt, etwas Göttliches, dass wir ganz real Erscheinungen der schöpferischen Kraft sind, dass die schöpferische Kraft unsere Natur ist und dass sie uns daher aus allen Problemen einen Ausweg zeigen kann und wird, wenn wir uns ihr nicht verschließen.

 

 

Wenn ein Mensch das einmal verstanden hat, wird er nicht mehr durch die Welt gehen und alles kaputt machen, sondern dann wird er durch die Welt gehen und alles gut machen.

 

Vor 4000 Jahren hat das ein Mensch erkannt. Der Mensch hat Abraham geheißen.

Abraham ist in einer Kultur aufgewachsen, in der es viele Götter gab. Alle Naturkräfte wurden Götter genannt. Deshalb gab es einen Gott der Sonne und einen Gott des Regens und einen Gott des Meeres und einen Gott der Berge usw. Und die Menschen haben zu diesen Göttern gebetet, weil sie gesehen haben, dass sie von den Naturkräften abhängig sind.

Bevor sie auf die Idee gekommen sind, zu diesen Kräften zu beten, haben sie diese Kräfte ganz genau beobachtet, und dadurch gelang es ihnen, die Probleme, die sie mit diesen Kräften hatten, zu lösen. Ihre Beobachtung der Kräfte vorher war so genau, wie ihre Kommunikation mit den Menschen war. So ist in ihnen der Eindruck entstanden, als ob sie mit diesen Kräften sprechen könnten. Solange sie diese Aufmerksamkeit hatten, was alles in Ordnung, aber mit der Zeit ist die Kommunikation, in der sie mit diesen Kräften standen abgestumpft. Sie haben nicht mehr so genau hingeschaut. Sie sind abergläubisch geworden und haben angefangen zu glauben, dass es genügt, wenn sie mit der Sonne sprechen. Das war natürlich verrückt. Es konnte nicht funktionieren, aber immerhin hat es die Leute beruhigt. Dadurch hatten sie nicht mehr so viel Angst. Und deshalb haben sich die Götterkulte weit verbreitet.

 

In diese Situation wurde ein Mann hineingeboren mit Namen Abraham. Ihn hat es geärgert, dass behauptet wurde, man müsse zu den Göttern beten, während er feststellen musste, dass das nicht hilft. Abraham hat aufgehört einfach zu glauben, was die Leute glaubten. Er wollte herausfinden, wie alles wirklich ist. Seine innere Wahrheit hat ihn bewegt, nicht einfach zu glauben, sondern der Frage nachzugehen, woher alles kommt, was es gibt. Auf diese Weise hat er die schöpferische Kraft entdeckt.

Sobald er sie entdeckt hatte, wusste er, dass er die Götter nun vergessen konnte, weil die Götter nur Sklaven dieser schöpferischen Kraft sein können. Wozu sollte er zu den Sklaven beten? Er konnte doch gleich mit der schöpferischen Kraft selbst sprechen. Und das hat er getan.

Da hat die schöpferische Kraft zu ihm gesagt:

Wenn Du nicht länger dem Unsinn Deiner Verwandten ausgesetzt sein willst, dann geh weg von zu Hause. Denn alle Deine Vorfahren haben an diese Götter geglaubt und Du wirst sie davon nicht abbringen. Geh also weg von zu Hause und fang einfach an einem anderen Ort neu an. Auf diese Weise wirst Du zum Stammvater eines neuen Volkes werden, das keine Götter mehr anbetet, sondern nur noch direkt mit der schöpferischen Kraft spricht, wenn ein Problem auftaucht.

 

Abraham ist der Anregung seiner inneren Wahrheit gefolgt; er hat seine Familie verlassen und ist weggegangen von zu Hause in ein neues Land. Er ist einfach seinem Traum gefolgt.

Dabei ist ihm allerdings klar gewesen: Wenn er in einen fremden Land ist, wird er durch viele unbekannte Gefahren hindurchgehen müssen. So was kann man nicht überleben, wenn man die Menschen nicht achtet – das heißt damals konnte man das nicht überleben, in unserer heutigen Wohlfahrtsgesellschaft könnte man es vielleicht schon.

Abraham war klar, wenn sein Traum wahr werden sollte, dann musste er respektieren, dass nicht nur er selbst eine göttliche Erscheinung ist, sondern dass alle anderen ebenso göttliche Erscheinungen sind. Wenn sich ein Mensch klar macht, dass alle Menschen, denen er begegnet, göttliche Erscheinungen sind, dann wird er ihnen automatisch mit Respekt begegnen. Dann wird er sich so verhalten, dass er ihnen nicht schadet, sondern, dass er sie unterstützt, weil er sich eben so verhält, wie sich die schöpferische Kraft selbst verhält.

Und so hat Abraham gesehen, dass sein Traum nur wahr werden kann, wenn er nicht zum Fluch, sondern zum Segen wird für alle, denen er begegnet.

 

Deshalb sagt die Bibel an der Stelle über Abraham: (Gen 12,3): „Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.“ Abrahams Traum war, dass durch ihn alle Segen erlangen sollen. Dem entsprechend hat er gelebt. Und so konnte sein Traum wahr werden. Trotz Schwierigkeiten mit eigenem Nachwuchs ist er schließlich tatsächlich zum Stammvater eines großen Volkes geworden. Seine Nachfolger haben von klein auf gelernt, dass nicht nur sie selbst etwas Göttliches sind, sondern alle anderen genauso, daher mussten sie allen mit Respekt begegnen. Und so konnte viele Generationen nach Abraham sehr erfolgreich sein. Einige haben das aber auch vergessen. Sie haben sich von ihren Gefühlen wegreißen lassen und Dinge getan, denen jeder Respekt gefehlt hat, wie diejenigen, die auf einen ihrer Brüder eifersüchtig geworden sind und ihn als Sklaven verkauft haben.

Dieser Bruder allerdings hatte es nicht vergessen, deshalb ist er in der Fremde vom Sklaven aufgestiegen zum Stellvertreter des Königs. Usw.

 

Aber dann haben die Israeliten auch das vergessen und sie sind als ganzes Volk zu Sklaven geworden, bis eine Mutter sich wieder daran erinnert und sich für ihr Kind eingesetzt hat. Sie kennen die Geschichte von dem Kind: Moses.

Moses, der am Hof des Pharao aufgewachsen ist, hat dann praktisch ein ganzes Leben gebraucht, bis er das Geheimnis der schöpferischen Kraft wiederentdeckt hat. Das geschah an dem brennenden Dornbusch. Sie kennen die Geschichte:

 

Ex 3,2: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. 3 Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht? ...

 

Moses, der alle Geheimnisse der Ägypter kannte und daher prädestiniert war, seinem Volk zu helfen, war zu der Zeit bereits vierzig Jahre lang zur Untätigkeit verdammt. Er konnte nichts tun als Schafe hüten – bis zu dem Tag, von dem hier die Rede ist.

Es war eigentlich ein Tag wie jeder andere in diesen vierzig Jahren. Moses war wieder unterwegs mit seinen Schafen. Auch was er an dem Tag gesehen hat, war nicht so ungewöhnlich, wie es scheint, und dennoch hatte die Situation etwas ganz Außerordentliches, weil jetzt ein entscheidender Gedanke auftauchte, den er so noch nie zuvor gedacht hatte.

Die Erscheinung, die Moses gesehen hat, kennen Sie alle: An heißen Tag beginnt die Luft am Horizont zu flimmern wie über einem Feuer. Es sieht so aus, wie wenn etwas brennt. Auch Moses kannte natürlich diese Erscheinung nach 40 Jahren Schafe hüten in der Hitze des Sinai. – Aber wie auch für Sie Dinge, die Sie sehr gut kennen, gelegentlich ganz anders aussehen, weil Sie gerade in einer bestimmten Weise an etwas anderes gedacht hatten, so hat es in diesem Moment auch für Moses anders ausgesehen.

Moses hat wohl gerade an seine Israeliten gedacht, und dass er so gar nichts tun kann für sie als Schafhirte auf Sinai. Er denkt gerade an die Hitze, unter der sie schuften müssen und er denkt an die Sklaventreiber, die die Hitze noch verstärken, indem sie mit ihren Peitschen dafür sorgen, dass sich keiner ins Kühle flüchtet. Und wie er gerade an diese Hitze denkt, der seine Volksgenossen tagtäglich ausgeliefert sind, sieht er wie die Hitze hier die Luft zum Flimmern bringt wie über einem Feuer, besonders am Horizont, wo dieser Dornbusch steht, der gerade so aussieht, als ob er brennt.

 

Und da trifft ihn die Frage wie ein Blitz: Wie kann dieser Dornbusch in der mörderischen Hitze dieses Orts überleben? Moses selbst muss sich nicht den ganzen Tag der prallen Sonne aussetzen, aber dieser Dornbusch hat keine Wahl. Er steht da und die Sonne brennt gnadenlos auf ihn nieder. Er kann nicht weggehen. Er kann sich nicht in den Schatten stellen. Wie kann der hier leben?

Da wird dem Moses mit einem Mal etwas klar, was Abraham einige Jahrhunderte vor ihm schon klar geworden war und damit versteht er plötzlich, was die Vorfahren seiner Israeliten schon verstanden hatten, was sie offenbar aber vergessen haben mussten, denn sonst wären sie nicht in Sklaverei geraten.

Der brennende Dornbusch zeigt ihm, dass da eine Kraft in ihm wirkt, die ihn befähigt, unter diesen Bedingungen zu existieren. Diese Kraft hatte ihn schon so gebaut, dass er hier leben konnte. Und in den Menschen wirkte die gleiche Kraft. Und in den Menschen sorgte sie dafür, dass sie aus allen unerträglichen Bedingungen entkommen konnten.

Diese Kraft war es gewesen, die den Stammvater seines Volkes veranlasst hatte, seine babylonische Heimat zu verlassen und in ein fremdes Land zu ziehen. Sie hatte ihm versprochen, dass er zum Stammvater eines neuen Volkes werden würde, das allein dem einen Gott dienen würde, aus dem Himmel und Erde hervorgegangen sind. Und sie waren tatsächlich zu einem ganzen Volk geworden, doch jetzt lief etwas grundverkehrt.

Er hatte von den Geschichten der Väter des Volkes gehört, aber er hatte diese Geschichten nie ganz verstanden, weil doch unbegreiflich war, wie dieser Gott es zulassen hatte können, dass sein Volk in Sklaverei geraten konnte. Aber jetzt verstand Moses, dass nicht Gott sein Volk verlassen hatte, sondern dass sein Volk durch Gewohnheit abgestumpft nicht mehr begriff, was ihr Gott eigentlich war.

Der Dornbusch hatte es ihm gerade wieder gezeigt: Die schöpferische Kraft hatte ihm Fähigkeiten gegeben, die es ihm möglich machten, unter diesen extremen Bedingungen der Wüste zu überleben. Die schöpferische Kraft hatte auch den Israeliten alle Fähigkeiten gegeben, die notwendig waren, um das Joch ihrer Sklaverei abzuschütteln. Aber sie hatten das Vertrauen in diese schöpferische Kraft verloren. Sie brauchten jemand, der es ihnen wiedergab.

Das war seine Erkenntnis am brennenden Dornbusch, die das Schicksal der Israeliten verändern sollte. Und so hörte er in sich den Ruf der schöpferischen Kraft, die jetzt zu ihm sagte:

 

Ex 3,10 Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus! 11 Mose antwortete Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte? 12 Gott aber sagte: Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt ...

 

„Ich bin mit dir!“ Mit dieser Versicherung war Moses handlungsfähig, denn er wusste nun genau, dass er die Kraft zur Verfügung haben würde, die Aufgabe zu übernehmen, für die er von seinen Voraussetzungen her besser geeignet war als irgendjemand sonst.

Er brauchte nur noch die geeigneten Worte, die er an die Israeliten weitergeben konnte, damit sie den Glauben ihrer Väter wieder finden konnten. Und so hörte er die Stimme der schöpferischen Kraft weiter sagen:

 

Ex 3,14: So sollst du zu den Israeliten sagen: Jahwe, der «Ich bin der ich bin», hat mich zu euch gesandt.

3,15: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen Generationen.

 

„JAHWE“, das ist die Definition der schöpferischen Kraft vom Standpunkt des Betrachters aus. Die schöpferische Kraft ist das eigentliche Wesen des Menschen, seine innerste Natur. So wie der Sufi-Heilige al Hallaj sagte: „Da ist nichts als Allah unter meiner Kutte.“ Das gleiche bedeutet das „Ich bin der ich bin“, das Moses am Dornbusch hört. Der Gott, der das innere Wesen des Menschen ist, war schon der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Jetzt spricht er zu Moses und „er“ wird ihm helfen, die Israeliten wieder an ihre wahre Natur zu erinnern, die sie vergessen hatten, wodurch sie das Vertrauen verloren hatten und zu Sklaven geworden waren. Und unter diesem Namen werden die Menschen aller künftigen Generationen ihn wiedererkennen, weil ihre innere Wahrheit ihnen diesen und keinen anderen Namen bestätigen kann.

 

Die innere Wahrheit spricht von sich und von dem Menschen, dessen Wahrheit sie ist, in der Ich-Form. Eine Stimme aus dem Zentrum des Universums tritt im Geist eines Menschen an die Oberfläche. Und wenn ein Mensch ausspricht, was diese Stimme sagt, dann klingt das, wie das, was al-Hallaj gesagt hat und was vor ihm schon Moses gesagt hat: „Ich bin der ich bin.“

Von hier zum ersten Gebot am Berg Sinai ist nur ein kleiner Schritt. Es ist selbstverständlich, dass die innere Wahrheit nur eine ist, und dass alle anderen Stimmen daneben nur die Stimmen falscher Götter sein können, nur die Stimmen der Verführer. Auf sie zu hören, führt in Sklaverei jedweder Art, in die Freiheit führt nur die Stimme der inneren Wahrheit, die Stimme JAHWEs.

Und so verkündet die Stimme des Befreiers am Sinai:

 

Ex 20,2: Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.

3 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. ...

5 Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation;

6 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.

 

Die schöpferische Kraft soll eifersüchtig sein? Natürlich ist das ein anthropomorpher Ausdruck, aber, was den Effekt betrifft, korrekt. Denn natürlich hat es Folgen, wenn jemand seiner inneren Wahrheit nicht folgt. Nicht nur für den betreffenden Menschen, sondern natürlich auch für seine Kinder und Kindeskinder, weil sie schon im Aufwachsen in ihrem Selbstbewusstsein beschädigt werden, weil ihnen schon von klein auf gesagt wird: Mit dir stimmt etwas nicht. Du kannst dir selbst nicht trauen.

Das Problem kommt aber nicht da her, dass jemand seiner inneren Wahrheit vertraut, sondern da her, dass er auf andere Stimmen hereinfällt, die ebenso auf ihn einreden. Es geht also nicht darum, einem Kind von Anfang an ein Misstrauen gegen sich selbst einzuimpfen, sondern es unterscheiden zu lehren, es den JAHWE und die fremden Götter erkennen und unterscheiden zu lehren.

Die fremden Götter sind eben nicht „du selbst“ oder „ich selbst“, wie JAHWE, es sind Mächte, die so tun als ob sie unsere Interessen repräsentierten, während sie uns in Wirklichkeit von unserer inneren Wahrheit entfremden.

Leider haben viele unserer Religionslehrer davon keine Ahnung. Sie meinen, JAHWE wäre ein anderer, dessen Wahrheit in einem Buch aufgezeichnet sei und dem man sich unterwerfen müsse, weil man sich selbst nicht trauen könne – der aber immerhin besser sei als die vielen anderen, denen zu folgen gefährlich sei. Wie gefährlich es aber sein kann, diesem anderen zu folgen, dessen Wahrheit in einem Buch aufgezeichnet ist, zeigen die religiösen Fanatiker, die mit Verweis auf dieses Buch, also auf etwas anderes als ihre innere Wahrheit Tod und Verderben in die Welt bringen.

 

Das ist die Gefahr, die von der Religion ausgeht – und vor der das zweite Gebot warnt, nämlich den Namen Gottes zu missbrauchen.

Hier sei’s gesagt, dass alle den Namen Gottes missbrauchen, die sagen, dass ein Mensch sich selbst nicht trauen dürfe, sondern stattdessen einem Buch, in dem die Wahrheit aufgeschrieben sei.

Die Wahrheit ist vielmehr, dass JAHWE in jedem Menschen gegenwärtig ist und als seine eigene innere Wahrheit zu ihm spricht, dass es aber manchmal Situationen gibt, in denen man nicht sicher ist – und für diese Fälle ist das Buch gedacht, als Unterstützung und nicht als Beweis dafür, dass man sich nicht trauen dürfe. Das letztere ist, wie gesagt, ein klarer Missbrauch des Namens Gottes – und natürlich eine Versuchung für eine etwaige Priesterkaste, sich eine Macht anzumaßen, die ihr nicht zukommt.

 

Es ist also klar, dass eine Missachtung der inneren Wahrheit nachteilige Folgen hat, die sich auch noch auf Kinder und Kindeskinder auswirken. Aber an dieser Stelle wird gesagt, die Macht des Verhängnisses ist begrenzt, denn die innere Wahrheit verschwindet ja nicht. Sie wird immer versuchen, sich Gehör zu verschaffen über alle familiären Tabus und sozialen Konventionen hinweg. Jeder Mensch hat die Chance, sich zu besinnen und die Wahrheit wiederzuentdecken. Das Verhängnis wirkt also nicht weiter als vier Generationen.

Anders ist es mit dem Segen, der aus dem Hören auf die innere Wahrheit folgt. Er ist nicht auf vier Schichten beschränkt. Er strahlt aus auf Tausende.

 

 

 


Neues Testament

 

 

Mk 11,22: Jesus sagte zu ihnen: Ihr müsst Glauben an Gott haben.

23 Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen.

24 Darum sage ich euch: Alles, worum ihr betet und bittet - glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil.

 

Jesus sagt hier nichts Neues. Er wiederholt nur die Erfahrung des Moses, des Abraham, des David und all derer, die ihrer inneren Wahrheit gefolgt sind, die JAHWE also persönlich erfahren haben.

Wirklich „an Gott glauben“ kann nur ein Mensch, der seine innere Wahrheit kennt. Alle anderen plappern nur etwas nach, das sie nur vom Hörensagen kennen. Sie reden von einem angeblichen Gott, an den man glauben oder genauso gut nicht glauben kann. Insofern haben die Atheisten ganz recht, wenn sie an diesen nicht erfahrenen, sondern nur geglaubten „Gott“ nicht glauben, denn dieser Gott ist keine Wirklichkeit, sondern nur eine Vorstellung. Und dadurch kann er zu einem grauenhafter Tyrannen werden.

Dennoch kann ein Mensch, der seine innere Wahrheit noch nicht in aller Klarheit erfahren hat, mit seinem Glauben bereits einiges bewegen. Zunächst wirkt dieser Glaube als Vertrauen; darüber hinaus wirkt er als „positives Denken“ – das auch „christliche Wissenschaft“ genannt worden ist. Und damit kann dieser Glaube bereits eine sehr positive Wirkung haben. Doch manche seiner Spielarten können auch eine sehr negative Wirkung haben, wie im Fall des Hexenwahns oder ähnlicher fundamentalistischer Auswüchse. Das heutige Beispiel solchen pervertierten Glaubens sind die Selbstmordattentäter, die glauben, Gott einen Dienst zu tun, indem sie sich und andere umbringen. Das sind klare Verletzungen des ersten Gebots (und darin eingeschlossen des zweiten Gebots), es ist ein Dienst an fremden Göttern und hat mit dem, was Jesus „an Gott glauben“ nennt, nichts zu tun, auch wenn dieser Glaube sich auf ein heiliges Buch beruft, sei es die Bibel, der Koran oder irgendein anderes Buch, das der inneren Wahrheit vorgezogen wird.

Jesus redet nicht vom Glauben an ein Buch. Wenn er vom „Vater“ spricht, redet er von der schöpferischen Kraft, die Ursprung und Wesen eines jeden Menschen ist. Wer ihr vertraut, vermag alles, was sie ihm aufträgt – denn natürlich kann ein Mensch nicht willkürlich bestimmen, was wahr werden soll.

Natürlich gibt es viele Verführer, die Menschen glauben machen wollen, sie könnten es bestimmen, sie bräuchten sich nur eine Million wünschen und schon könnten sie Millionäre sein. Andererseits müssen die Leute, die so etwas glauben, eben ihre Erfahrungen machen und feststellen, dass es um etwas anderes geht, als um Millionen und wie absurd die Vorstellung ist, dass es darum ginge.

Genauso wie die die innere Wahrheit nicht eine Sache der Wahl ist, befiehlt sich auch nicht etwas Unsinniges. Der Ruf, den Menschen aus ihrer inneren Wahrheit empfangen, ist immer etwas, das die Menschheit in einem guten Sinn voranbringt. Und der „Berg“, den Menschen den Worten Jesu nach dazu vielleicht bewegen müssen, wird wohl kaum ein Berg aus Steinen sein, aber im Umfang der Aufgabe eventuell durchaus vergleichbar damit.

 

Die innere Wahrheit ist immer eine Resultante der existentiellen Wirklichkeit. Von ihr her kommt einem jedem Menschen eine nur ihm entsprechende Aufgabe zu.

So wie nur Moses und kein anderer die Israeliten aus Ägypten herausführen konnte, weil er die Geheimnisse der Ägypter kannte, so hat jeder Mensch aufgrund der Besonderheiten seiner persönlichen Geschichte eine besondere Aufgabe – die letzten Endes aber immer darauf hinausläuft, die Menschen auf ihre innere Wahrheit hinzuweisen – entweder im Positiven oder im Negativen.

 

Weil wir aber immer wieder nicht sicher sind, haben wir die Möglichkeit des Gebets, der Besinnung und der Bitte um Klarheit. Die Bitte drückt eine Intention aus. Der Bittende möchte die Wahrheit erfahren. Und damit stellt er sich auf das Hören ein. Der Bittende ist wach und aufmerksam, denn er weiß nicht, wie seine Bitte beantwortet werden wird. Der Bittende möchte unterscheiden lernen – und sobald er seine innere Wahrheit erkannt hat, ist auch die Kraft zur Verwirklichung mit dabei, so wie bei Moses am Dornbusch, so wie bei Abraham, als er wegzog von zu Hause und so wie bei Jesus, als ihm klar wurde, dass sein Leben von ihm gefordert werden würde.

Bei der Bitte ist auch wichtig, und darauf macht Jesus aufmerksam, dass wir als Antwort nicht etwas Neues erfahren, denn unsere innere Wahrheit ist ja immer schon da. Das, worum wir bitten, haben wir also längst erhalten. Wir brauchen daher nicht irgendwo anders oder draußen suchen, denn es ist schon da.

Manche halten diesen Hinweis Jesu für einen kleinen psychologischen Trick, etwa von der Art wie die positiven Denker ihn anwenden, die sagen: Das, was du denkst, das strahlst du aus und das ziehst du an. Deshalb musst du dir vorstellen, dass du das, was du möchtest, bereits hast. Das ist zwar im Endeffekt richtig, weil jemand, der seine innere Wahrheit gefunden hat, ja das denkt, was er dann anzieht, aber es ist so lange falsch, als jemand seine innere Wahrheit noch nicht gefunden hat und etwas anderes an ihre Stelle setzt.

Jesus hatte seine innere Wahrheit gefunden. Wer das sehen kann – und dabei kann die Vorstellung von Jesus als „Sohn Gottes“ unter Umständen ein Hindernis sein –, wird auch die Wahrheit in allem sehen, was Jesus getan hat. Er wird deshalb auch an ihn glauben, aber vor allem wird er an seine eigene innere Wahrheit glauben und er wird vollkommen verstehen, was Jesus beim Evangelisten Johannes sagt:

 

Joh 14,12: Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere vollbringen

 

Wer an dem Punkt ist, von dem aus er das sehen kann, der wird zweifellos die Werke vollbringen, die Jesus vollbracht hat und, falls notwendig, noch größere.

Ganz schwierig war das jedoch für die Schüler von Jesus. Jesus hatte es ihnen wiederholt gesagt, aber ihnen erschien es unmöglich. Sie waren voller Bewunderung für ihn, aber von sich selbst hielten sie wenig. Er war einfach zu groß neben ihnen. Neben ihm kamen sie sich winzig vor.

Um das zu verstehen, wird es vielleicht nötig sein, sich anhand einiger Situationsbeschreibungen in ihre Lage zu versetzen. Er war nach heutigen Maßstäben ein Superstar. Wo er auftauchte, liefen die Leute zu hunderten zusammen.

Die Menge war oft so dicht, dass einer, der etwas kleiner war, keine Chance hatte, etwas zu sehen. Deshalb ist der Zöllner Zachäus auf die Idee gekommen, vorauszulaufen und auf einen Baum zu klettern. Bei einer anderen Gelegenheit war Jesus in einem Haus und ein Gelähmter sollte zu ihm gebracht werden. Wegen der Menschenmenge war ein Durchkommen unmöglich. Deshalb stiegen die Helfer auf das Dach des Hauses und deckten es ab, um den Gelähmten vor Jesus hin abzuseilen. Wegen der vielen Leute konnte Jesus oft gar nirgends in Ruhe essen. Um etwas Ruhe zu finden, musste er sich im Boot an eine andere Stelle am See Genezareth fahren lassen – und sogar dorthin liefen die Leute ihm nach.

Alle waren fasziniert von der Kraft, die er ausstrahlte und von den wunderbaren Dingen, die geschahen, vor allem von den Heilungen, aber auch von den höchst erstaunlichen Antworten, die er gab.

Die Jünger dagegen waren normale Leute. Die konnten sich das nicht erklären. Und wenn Jesus ihnen sagte, dass sie das auch könnten, konnten sie sich das nicht vorstellen.

Nach einiger Zeit wurde Jesus klar, dass sein Traum, nämlich seine Art zu leben an möglichst viele weiterzugeben, vorwiegend an ihm selbst scheiterte. Er überstrahlte alle. Alle glaubten an ihn und nicht an sich. Er musste weg.

Er konnte aber nicht einfach weggehen, denn entweder wären sie ihm gefolgt oder sie hätten sich von ihm verlassen und verraten gefühlt. Auf diese Weise konnte er nicht erreichen, dass sie echte Nachfolger würden. In beiden Fällen würden sie in ihrem Glauben nicht über sich selbst hinauswachsen. Genau das aber war notwendig, damit sie wirkliche Nachfolger werden konnten – damit sein Traum sich erfüllen konnte.

Doch sehr bald schon zeigte sich ein Ausweg, denn umso mehr Leute er beeindruckte, umso mehr Leute wurden auch eifersüchtig und neidisch. Vor allem diejenigen, die eigentlich für den Glauben der Bevölkerung zuständig waren. Während Jesus lehrte wie einer, der Macht hat, konnten sie nur alte Geschichten und Gesetzestexte wiederholen. Während sie am Buchstaben klebten, lebte Jesus den Geist. Das hat viele verbeamtete Lehrer sehr geärgert. Bei manchen Gelegenheiten bekamen sie das Gefühl, er mache sich über sie lustig. Sie versuchten daher, ihm Fallen zu stellen und verfingen sich am Ende nur selbst darin. Das konnten sie nicht hinnehmen. Dieser Störenfried musste beseitigt werden.

Und so kam es, dass die Interessen beider Seiten sich trafen. Jesus konnte den Hass seiner Gegner benützen, um seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen: Er würde getötet werden und seine Schüler würden angesichts dieser Katastrophe über sich selbst hinauswachsen und fähig werden, seine Art zu leben, nämlich in absolutem Vertrauen und mit totalem Einsatz, in die Welt hinauszutragen.

 

 

Mt 16,21 Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen.

22 Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!

23 Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.

24 Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

25 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.

 

Gerade eben noch hatte er wieder festgestellt, dass es seinen Schülern an Glauben fehlte (16,8: ihr Kleingläubigen!), dann hatte Petrus ihm gesagt, dass er ihn für den Messias halte (16,16) und nun muss er ihnen beschreiben, welchen Weg der Messias gehen muss, damit er das erreichen kann, wozu er gekommen ist (16,21).

Petrus hat nur ausgesprochen, was alle dachten. Er hat sich den Messias genau so vorgestellt, wie er Jesus bis jetzt erlebt hat, nur noch mehr so, noch strahlender, noch machtvoller. Irgendwann würde er einfach die Macht im Land übernehmen. Doch Jesus muss ihn enttäuschen. So geht es nicht. Jesus kann diesen strahlenden Weg nicht gehen, weil er auf diesem Weg nicht erreichen kann, was er erreichen will. Solange er strahlt, werden die, die er als seine Nachfolger vorgesehen hat, in seinem Schatten stehen und nicht fähig sein, seine Nachfolge anzutreten. Damit sie seine Nachfolge antreten können, muss er verschwinden.

Und jetzt muss er seine Schüler auf das vorbereiten, was sie erwartet, wenn sie nicht mehr zu ihm aufschauen können, weil er nicht mehr da ist. Und er muss ihnen verständlich machen, dass gerade das der Weg ist, auf dem das, wofür Jesus lebt, seinen Tod überwinden kann.

Noch können die Jünger das nicht verstehen, aber dann, als er tot ist, kommt es ihnen allmählich zum Bewusstsein, weil er sie darauf vorbereitet hat.

Dass sich das durchsetzen kann, wofür Jesus lebt, ist wichtiger, als dass er lebt. Wenn es sich nur durchsetzen kann, indem er stirbt, dann muss er seinen Tod in Kauf nehmen. Dann findet sein Traum eben in seinem Tod seine Erfüllung, aber er findet Erfüllung.

Das geht über den normalen Verstand hinaus. Für den normalen Verstand ist das Überleben das Wichtigste. Das drückt Petrus aus. Und Jesus weist ihn in extrem scharfer Form zurecht. Wenn die Jünger seine Nachfolger werden sollen, dann müssen sie radikal umdenken, denn dann sind nicht mehr sie es, die ihr Leben steuern aus ihrem Alltagsverstand heraus, sondern die schöpferische Kraft steuert ihr Leben dann, so wie sie Jesus steuert. Erst dann kann sich das das Göttliche in ihnen voll entfalten. Wenn sie nicht bereit sind, ihr ganzes Leben einzusetzen, dann werden sie das, worum es geht und wozu er sie berufen hat, verlieren. Wenn sie ihr Leben aber einsetzen, so wie er es einsetzt, dann wird ihr Leben zwar nicht mehr ihnen gehören, aber dann werden sie sich selbst die Dinge tun sehen, die sie, solange Jesus bei ihnen war, nicht für möglich gehalten hätten. Dann erst werden sie fähig sein zu dem Glauben, zu dem Jesus sie zu seinen Lebzeiten vergeblich versucht hatte zu führen.

Damit sie in seinem Sinn wirklich glauben konnten, musste er ihnen zeigen, wie weit Glauben geht – und zwar nicht als Gedankenspiel, sondern real.

Doch noch waren sie nicht so weit. Sie brauchten eine ganze Reihe von Ankündigungen dessen, was auf ihn zukommt, bis er sicher sein konnte, dass sie nach seinem Tod verstehen würden, was er für sie getan hat, und dass sie fähig sein würden, seine Nachfolge im wirklichen Leben anzutreten.

 

Und dann kommt die Zeit.

 

Jesus geht zum Pesachfest nach Jerusalem. Sein Ruf ist ihm längst vorausgeeilt und als sich die Nachricht verbreitet, dass er kommt, finden sich ganze Scharen, die ihn begrüßen. Die Begeisterung ist so groß, dass die Leute von den Palmen Zweige abbrechen, um ihm wie die Diener am Thron des Pharao Kühlung zuzufächeln. Andere ziehen Kleider aus und breiten sie auf der Straße aus, so dass Jesus auf dem Esel darüber reitet, damit sie dann zu ihren Freunden sagen können, das ist von Jesus berührt worden, um sich so eine Reliquie von ihm zu schaffen.

 

Nach seinem triumphalen Einzug begibt sich Jesus sofort in den Tempel und das erste, was er dort tut, ist etwas Unerhörtes, etwas, das die Tempelpolizei nicht ungeahndet lassen kann: Er jagt die Händler aus dem Tempel – die dort aber sein müssen, weil die Besucher dort doch ihre Opfergaben kaufen wollen. Die Priester sind empört, aber im Moment kann ihre Polizei nicht eingreifen, denn Jesus ist umgeben von begeisterten Anhängern. Sie müssen auf einen Moment warten, an dem er allein ist. Und Jesus wird ihnen diesen Moment liefern. Zunächst jedoch bleibt er unbehelligt und er kann einige Tage lang täglich im Tempel lehren.

 

Am ersten Abend des Fests der ungesäuerten Brote trifft er die letzten Vorbereitungen für sein Leben nach seinem Tod. Der Lebenstraum, den die schöpferische Kraft in ihm hervorgerufen hat, wird nun sehr konkret und Jesus setzt ihn minutiös um. Niemand kann so etwas „machen“. Was Jesus da getan hat, ist nur möglich aus der unmittelbaren Verbindung mit der schöpferischen Kraft. Es ist nur möglich als ein Akt der schöpferischen Kraft selbst. Was Jesus da getan hat, ist eben nicht genial, es ist göttlich:

 

Mk 14,22 Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib.

23 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus.

24 Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.

 

Es ist Pesach, das Fest der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. „Pesach“ heißt auf Deutsch „Vorübergang“. Es erinnert daran, dass am letzten Abend der Israeliten in Ägypten der „Würgeengel“ von Tür zu Tür gegangen ist und in jedem Haus die Erstgeborenen getötet hat. Das hat den Pharao schließlich bewegt, die Israeliten freizugeben. Der „Würgeengel“ ging in jedes Haus, nur an den Häusern, deren Türen mit dem Blut eines Lammes bestrichen waren, ging er vorüber. Dadurch wurden die Israeliten verschont und deshalb heißt ihre Gedenkfeier bis heute „Pesach“, „Vorübergang“.

Vor diesem Abend hatte Moses an die Israeliten den Befehl ausgegeben, alles zu packen und auf Wagen zu verladen. Dann sollten sie ein letztes Mahl zu sich nehmen, während sie auf das Zeichen zum Abmarsch warteten. Das Haus war gesäubert. Es gab also keinen Sauerteig mehr. Das Brot, das sie zu dem Mahl essen sollten, war daher ungesäuertes Brot.

Vor dem Mahl sollten sie ein Lamm schlachten und mit seinem Blut die Türen bestreichen. Durch das Blut des Lammes würden sie vor dem Würgeengel bewahrt werden.

 

Dieses Mahl essen die Juden seit jenem Abend jedes Jahr um diese Zeit und sie erinnern sich daran, wie sie an jenem Abend gerettet wurden. Dieses Mahl aß auch Jesus jedes Jahr um diese Zeit. Und diesmal aß er es mit seinen Jüngern und er wusste, dass es für ihn das letzte Mal sein würde in diesem Leben. Er wusste aber auch, dass das, wofür er gelebt hatte, seinen Tod überleben würde. Er musste jetzt nur noch, wie damals Moses, alles vorbereiten, damit das auch geschehen konnte. Dazu gab er seinen Jüngern jetzt ein Instrument in die Hand, das die Zeiten überdauern würde, und durch das Menschen noch unzählige Generationen nach ihm befähigt werden würden, sich diesen Moment und den Geist, der in ihm wirkte, zu vergegenwärtigen.

 

Zunächst deutete er die Zeichen dieses Festes um. Er war nun das Lamm, das geschlachtet werden würde und durch dessen Blut ganze Generationen nach ihm befreit werden würden aus der Sklaverei ihrer Entfremdung. Sein Blut würde sie befähigen, sich auf ihr göttliches Wesen zu besinnen, ihren Lebenstraum wachzurufen und auf die Stimme der schöpferischen Kraft in sich zu hören.

Was Jesus damit startete, war etwas völlig Neues, etwas, das weit über den Bund Gottes mit den Israeliten hinausging, denn es war jetzt nicht mehr gebunden an die Erfüllung des Mosaischen Gesetzes, es war jetzt nicht mehr gebunden an eine Volkszugehörigkeit, es war einfach eine Möglichkeit für alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, mit ihrem göttlichen Kern in Verbindung zu treten. – Vorher bereits hatte Jesus Aussagen gemacht, die eine spätere neuerliche Einschränkung und Konfessionalisierung seines universellen Zugangs zur schöpferischen Kraft verhindern sollten, doch die Tendenz der Menschen, In-Groups zu bilden und sich nach außen hin abzugrenzen, hat er nicht ganz ausschalten können. Wie weit ihm jedoch sogar das gelungen ist, bezeugt die Vielfalt christlicher Wege und Sekten, die nur in einem eins sind, nämlich dass sie sich an die Taten Jesu erinnern.

 

Jesus nahm nun also das Brot und bezeichnete es als seinen Leib, der am nächsten Tag hingerichtet werden sollte. Diesen Leib in Gestalt des Brotes gab er seinen Jüngern nun zu essen. Und dann deutete er den Wein als sein Blut, das am nächsten Tag vergossen werden würde. Und er wusste, aus dem Gedenken an diese Tat würde ein neuer, universeller Bund mit Gott entstehen. Jesus wollte mit diesem Gedächtnis an seine Hingabe allen Menschen ein Instrument hinterlassen, durch das sie die Möglichkeit hatten, herauszutreten aus den Fesseln ihres Alltags, in Kontakt zu treten mit ihrer inneren Wahrheit, ihren eigenen Lebenstraum wachzurufen und die Kraft zu fühlen, die aus ihm kommt.

Der neue Bund sollte also eine Möglichkeit für alle Menschen sein, jenseits jeder Konfessionalität mit ihrem göttlichen Wesen in Kontakt zu treten und von da an wie im Paradies aus der schöpferischen Kraft zu leben, frei und niemandem verantwortlich als nur ihrer Kraftquelle, gerade dadurch aber fähig, Dinge zu tun, die anderen unmöglich erschienen.

Dieses Vermächtnis übergab Jesus seinen Schülern am Abend vor seinem Tod, während er mit ihnen Pesach feierte.

 

Dann kam der Vollzug.

Um wirklich zu verstehen, was Jesus hinterlassen hat, ist es höchst notwendig, sich klar zu machen, was es bedeutet, sein Leben hinzugeben. Es wird klar, wie Jesus auf den Ölberg geht.

 

35 Er ... warf sich auf die Erde nieder und betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorübergehe.

36 Er sprach: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst.

 

Jesus hat Todesangst. Er hofft, dass es vielleicht doch noch einen anderen Weg geben könnte. Aber er weiß, das Wesentliche ist, dass sein Lebenstraum sich erfüllt, denn dieser Lebenstraum ist nicht nur, was seinem Leben Sinn gibt, sondern als Ausdruck seiner inneren Wahrheit ist es seine ganze Existenz. Der „Vater“, von dem er ausgegangen ist und von dem ihm sein ganzes Leben lang die Lebenskraft zugeflossen ist, die schöpferisch Kraft selbst ist es, die bestimmt.

In unserer naturwissenschaftlichen Zeit würden wir vielleicht sagen, dieser Weg ist seine evolutionäre Aufgabe, er muss auch um den Preis seines Lebens einen geistigen Weg bekannt machen, aus dem für die gesamte Menschheit ein evolutionärer Sprung möglich wird.

Indem er akzeptiert, was ihm aufgetragen ist, hat die Angst keine Macht über ihn. Statt auf sie schaut er auf das, was durch seine Hingabe möglich wird: das Unmögliche wird möglich. Ein evolutionärer Sprung wird möglich für eine große Zahl von Menschen, die ohne dieses Beispiel verloren wären. Sie können durch sein Beispiel beginnen, zu glauben, also darauf zu vertrauen, dass auch ihr Traum wahr werden kann. Das ist der Traum Jesu, dass seine Hingabe eine Kettenreaktion auslöst, dass seine Lebenseinstellung, ja letzten Endes er selbst sich durch seinem Tod vervielfacht, dass er in einer exponentiell wachsenden Zahl von Nachfolgern zu neuem Leben erwacht.

Auch davon hat er seinen Jüngern bereits erzählt.

Beim Evangelisten Markus, der von keiner einzigen Erscheinung des Auferstandenen berichtet, sagt Jesus auf dem Weg zum Ölberg:

 

27 Ihr werdet alle (an mir) Anstoß nehmen und zu Fall kommen; ... 28 Aber nach meinem Erwecktwerden werde ich euch nach Galiläa vorausgehen.

 

Damit weist er ihnen den Weg, nicht in der Landschaft, sondern im Geist. Er nimmt seinen Tod vorweg und beschreibt seinen Schülern, wie dieser Tod auf sie wirken wird: Sie werden nichts mehr haben woran sie sich festhalten können. Sie werden am Boden zerstört sein. Doch dann wird der Same, den er gesät hat, das, wofür er gelebt hat, in ihnen lebendig werden.

Und den wieder erweckten Jesus werden sie dort finden, wo sie ihn kennen gelernt haben. Sie werden ihn dann nach und nach neu kennen lernen, weil sie ihn jetzt, wo sie verstehen, warum er diesen Weg gehen musste, mit ganz anderen Augen sehen.

Und noch etwas sagt ihnen „Galiläa“: Es ist nicht einfach nur der Name der Provinz, aus der Jesus stammte, es ist auch der Teil Israels, der an das Gebiet der Heiden grenzt, und damit betont der Name noch mal die Grenzüberschreitung, die Jesus ihnen aufgetragen hat.

 

 

Weil Markus keine einzige Erscheinung des Auferstandenen beschreibt, soll eine Geschichte des Evangelisten Lukas illustrieren, wie „die Auferstehung Jesu“ zu verstehen ist.

 

Es ist nicht schwer, sich in die Schüler Jesu nach seinem Tod am Kreuz hineinzudenken. Er starb an einem Freitag um drei Uhr Nachmittag. Die Jünger hatten gerade zwei Stunden, um seinen Leichnam vom Kreuz abzunehmen und sein Begräbnis zu organisieren, denn spätestens um sechs mussten sie zu Hause sein, denn da begann der Sabbat, an dem sie weder unterwegs sein noch irgendeine Arbeit verrichten durften. Zum Glück bot einer der Priester des Hohen Rates ein Grab an. Dort wurde der Leichnam Jesu in aller Eile beigesetzt.

Dann saßen die Jünger und die Frauen, die mit ihnen waren, in dem Haus zusammen, das sie für Pesach gemietet hatten. Am Vorabend hatten sie hier das Pesachmahl mit Jesus gefeiert, doch jetzt – sie konnten das überhaupt nicht fassen – jetzt war er tot!

Vor einer Woche hatten sie noch gedacht, Jesus würde als Messias von allen anerkannt werden, doch jetzt lebte er nicht mehr! Die gleichen Leute, die ihn vor einer Woche noch bejubelt hatten, hatten vor wenigen Stunden geschrien: „Ans Kreuz mit ihm!“ Wie war das möglich? Was war da schief gelaufen? Warum? Warum? Warum? Sie waren verzweifelt und am Boden zerstört. Fassungslos weinten sie, schrien und wälzten sich am Boden. Das durfte doch einfach nicht wahr sein!

Das Einzige, was ihnen Halt gab, waren die Riten des Sabbat. Und doch waren die Gebete für sie jetzt nicht viel mehr wie Schall und Rauch. Sie hatten alles verloren. Sie hatten den wertvollsten Menschen gekannt, den die Erde je hervorgebracht hat, und nun war er tot!

Doch die Zeit schreitet fort und es wurde Nacht. Nicht dass sie wirklich ruhen hätten können, aber beim Aufwachen hatten sie die Hoffnung, dass alles nur ein böser Traum gewesen sei. Aber nein! Es war real. So verbrachten sie den Sabbat, mit Gottesdiensten zwar, aber in tiefster Trauer und Verzweiflung. Die Spannung war unerträglich, in der auch der Sabbat zur Neige ging und sie sich erneut schlafen legten.

 

 

Am Sonntag früh machten sich einige Frauen auf, um das Grab zu suchen und den Leichnam Jesu einzubalsamieren. Zwei von Jüngern aber hielten diese Spannung nicht mehr aus, sie wollten nur noch weg. Sie wollten nach Hause zu ihrer Familie, um wieder Anschluss an die Realität zu finden. Und so machten sie sich auf den Weg nach Emmaus.

 

Lk 24, 15 Während sie [unterwegs] redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit ihnen. 16 Doch sie waren wie mit Blindheit geschlagen, sodass sie ihn nicht erkannten.

17 Er fragte sie: Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie traurig stehen,

18 und der eine von ihnen - er hieß Kleopas - antwortete ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?

19 Er fragte sie: Was denn?

Sie antworteten ihm: Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk.

 

Können Sie sich vorstellen, dass Sie ihren besten Freund unterwegs treffen und nicht erkennen – und dass sie dann den ganzen Tag mit ihm über ihn reden und ihn immer noch nicht erkennen? Wohl eher nicht.

Wenn Sie zudem wissen, dass einer der vier Evangelisten, Markus, sich strikt geweigert hat, von einer Erscheinung des Auferstandenen zu erzählen, dann können Sie sich vielleicht vorstellen, dass die Erzählungen von den Erscheinungen des Auferstandenen, die die anderen Evangelisten bringen, wie auch unsere Geschichte hier, nicht unbedingt in einem materiellen Sinn wörtlich verstanden werden müssen, sondern dass sie eher von einer Wirklichkeit sprechen, die mit den physischen Augen nicht wahrgenommen werden kann. Das „einige aber zweifelten“ in der Erzählung des Evangelisten Matthäus von der Himmelfahrt (Mt 28,17) ist ein weiterer klarer Hinweis darauf.

Obwohl die Geschichte von den Jüngern, die nach Emmaus gingen, nach Meinung der Exegeten nicht zum ursprünglichen Erzählgut über Jesus gehört und vielleicht zur Gänze eine Dichtung des Evangelisten Lukas oder seiner Informanten ist, lässt sie doch ahnen, was zu Ostern geschehen sein könnte:

 

Da gehen also zwei von den Jüngern weg von der Stätte der Tragödie, zurück nach Hause. Sie sind gezeichnet von dem Schock, den sie erlebt haben. Der Mann, auf den sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten, den sie für den Messias gehalten hatten, ist verhaftet und hingerichtet worden und sein Leichnam liegt nun in einem Grab. Ihr Lebenstraum ist ausgeträumt. Sie sind am Ende und sie sind untröstlich über diesen unwiederbringlichen Verlust.

So findet sie der Mann, den sie unterwegs treffen, und in dem sie später Jesus sehen sollten. Er sieht ihnen ihren Zustand an und er fragt sie danach.

Sie sind ganz erstaunt, dass er nicht weiß, was in Jerusalem geschehen ist, dass er die Geschichte von Jesus gar nicht kennt.

Sie erzählen ihm alles. Und da sie den ganzen Tag unterwegs sind, ist viel Zeit über alles zu reden. Sie erzählen davon, dass sie Jesus für den Messias gehalten hatten und von ihrer nun zerstörten Hoffnung. Sie erzählten auch von den Frauen, die das Grab leer gefunden hatten.

Dann fragt sie der Fremde, wie sie sich den Messias eigentlich vorgestellt hätten, ob sie denn nicht wüssten, dass der Messias leiden müsste. Sie hatten davon zwar gehört und auch Jesus selbst hatte ihnen sein Leiden angekündigt, aber sie hatten sich den Messias eben anders vorgestellt. Und so sprachen sie jetzt über den konkreten Jesus, über die unglaublichen Dinge, die sie gesehen hatten, über seine Macht über Krankheiten.

Wie erklärten sie sich denn diese Dinge? Übernatürliche Kräfte? Hatte er nicht immer gesagt: „Nicht ich habe Dich geheilt, dein Glaube hat dich gesund gemacht“? Aber war das Besondere am Messias nicht seine übernatürliche Kraft? Nein, es war seine Fähigkeit, den Glauben zu wecken! Und der Glaube war es dann, der alles gut macht und heil werden lässt. Hatte er ihnen nicht gesagt, dass sie noch größere Dinge tun könnten, als er sie getan hatte? Ja, aber wie hätten sie denn das glauben können?

Eben deshalb hätte er sterben müssen, weil sie das nicht glauben hätten können.

Da begann ihnen etwas zu dämmern, sie begannen, zu begreifen, aber ganz schafften sie es noch nicht. Da kamen sie in Emmaus an.

Der Fremde wollte weitergehen, aber sie drängten ihn, doch bei ihnen zu bleiben; und er blieb.

 

30 Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. 31 Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.

 

Schon als Kind habe ich mich an der Stelle immer gefragt: Hat er sich nun plötzlich in Luft aufgelöst und haben die Jünger jetzt auf einen leeren Platz gestarrt?

Wenn es in unserer Kultur die Tradition der Koans gäbe, wäre mir schon damals klar geworden, wie mit derartigen Schwierigkeiten umzugehen ist. So aber habe ich eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass Bilder nicht unbedingt wörtlich genommen werden müssen und dass sie trotzdem einen Sinn ergeben. Heute ist mir klar, was da geschehen ist:

Die Jünger waren also einen ganzen Tag lang unterwegs mit einem Fremden, der Jesus nicht kannte, wohl aber die Bibel. Im Gespräch mit ihm wurde den Jüngern vieles klar, aber das Entscheidende geschah dann beim Essen.

Als Gast bekam der Fremde den Ehrenplatz zugewiesen, an dem auch Jesus bei früheren Gelegenheiten schon gesessen hatte. Und er tat, was jeder an diesem Platz zu tun hatte: Er sprach den Segen, brach das Brot und gab es ihnen – genau so wie Jesus es einige Zeit davor an diesem Platz auch gemacht hatte.

Und so schob sich ein Bild aus ihrer Erinnerung über das Bild des Fremden. Für einen Moment sahen sie Jesus an dem Platz – und dieser Moment wurde für sie zu einer unvergesslicher existenzieller Erfahrung, verbunden mit einer ganzen Reihe von entscheidenden Erkenntnissen:

 

1. Zunächst sahen sie Jesus, nur für einen Moment allerdings, denn gleich darauf sahen sie ihn nicht mehr.

2. In dem Moment, als sie Jesus sahen, wurde ihnen bewusst, dass Jesus tot war und dass sie ihn nie mehr wieder sehen würden, nie mehr, denn Tote werden nicht wieder lebendig. Die Wirklichkeit hatte sie wieder eingeholt. Sie fühlten den tiefen Schmerz über diesen unwiederbringlichen Verlust. Doch sie waren nicht mehr die gleichen, die sie am Morgen noch gewesen waren. Das Gespräch mit dem Fremden hatte einiges bewegt. Es hatte ihnen klar gemacht, dass Jesus diesen Weg nicht als hilfloses Opfer gegangen war, sondern dass er ihn gewählt hatte, um damit etwas auszulösen – in ihnen. Er hatte ihnen den Schlüssel dazu schon in die Hand gegeben, indem er ihnen gesagt hatte: Ihr könnt sogar noch größere Dinge tun.

3. Dieses „Ihr könnt sogar noch größere Dinge tun“ nahm nun in ihnen Gestalt an. Was es dazu brauchte, war Glauben. Ein winziger Funke von diesem Glauben war schon da, aber sie hatten ihn noch gar nicht bemerkt. Doch jetzt wuchs dieser Funke, während sie sich klar machten, dass Jesus wirklich von ihnen gewollt hatte, dass sie seine Nachfolger werden. Er hatte wirkliche Nachfolger gemeint, also solche, die das tun, was er getan hat. Er hatte also geglaubt, dass sie die gleiche Kraft hatten wie er. – Mit dem Gedanken spürten sie diese Kraft, wie sie in sie einströmte. Sie hätten nie für möglich gehalten, aber jetzt spürten sie diese Kraft in sich immer stärker werden und mit einem Mal passten die Bruchstücke des verwirrenden Puzzles und ergaben ein Bild.

Schon im biblischen Schöpfungsbericht waren sie dieser Kraft begegnet, doch jetzt spürten sie, dass nicht nur sie selbst ein Ergebnis der schöpferischen Kraft waren, sondern dass diese Kraft jetzt zu ihrer Verfügung stand. Sie mussten sich ihr nur öffnen und ihr nicht ihren Unglauben entgegenstellen. Und in diesen Momenten schlug ihr Unglaube in Glauben um und so wussten sie jetzt eines ganz gewiss:

4. Das, wofür Jesus gelebt hatte und wofür er sein Leben hingegeben hatte, das war jetzt lebendig, in ihnen. Sie wussten: Jesus ist nicht tot – egal, was dort im Grab liegt oder auch nicht. Jesus war jetzt für sie lebendiger als je zuvor, denn zuvor hatten sie trotz seiner Gegenwart nur einen Schatten von ihm gesehen, nicht ihn selbst in seiner ganzen Tiefe. Doch jetzt sahen sie ihn und sie wussten, was sie zu tun hatten: Sie mussten in seine Fußstapfen treten. Sie mussten sein Werk weiterführen. Sie mussten jetzt die sein, die den Glauben weckten. Sie mussten jetzt sagen: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, denn ich werde euch erquicken.

 

Etwas von der Art ist bei beiden Jüngern abgelaufen. Es hat nur wenige Momente gedauert und hat doch ihr Leben radikal verändert.

 

Das konnten sie nicht für sich behalten. Sie entschuldigten sich bei dem Fremden und bei ihren Familien und sagten, dass sie jetzt nicht bleiben konnten. Sie mussten sofort zurück nach Jerusalem, um den anderen Jüngern zu berichten, was sie eben erlebt hatten.

Zunächst erzählten sie noch ihren Freunden hier am Tisch, was sie erlebt hatten, dann verabschiedeten sie sich und liefen zurück nach Jerusalem – fast ein Marathon.

 

Sie erreichten das Haus, in dem die anderen Jünger waren und begannen, zu erzählen. Die anderen Jünger unterbrachen sie nicht, aber als sie fertig waren und gesagt hatten, dass sie Jesus gesehen hatten, sagten die andern: Wir haben ihn auch gesehen, denn dort war inzwischen etwas sehr Ähnliches geschehen.

Auch dort war keine Leiche wieder lebendig geworden, sondern die Apostel hatten erlebt, dass das, was Jesus war, nicht im Grab zu finden war. Jesus lebte, aber jetzt nicht mehr in seiner Gestalt, sondern in ihrer.

Damit hatte Jesus den Tod überwunden. Er war in seinen Jüngern zu neuem Leben erwacht. Er hatte sich vervielfältigt. Und in jedem Menschen, in denen die Jünger nun den Glauben an die Gegenwart und Macht der schöpferischen Kraft wecken würden, würde er erneut lebendig werden.

 

Deshalb war er tatsächlich der Messias. Er erlöste die Menschen aus jeder Form von Aberglauben. Und, genau betrachtet, war der Glaube der Jünger nur Aberglaube gewesen, solange sie nicht glauben hatten können, dass sie die Dinge auch tun konnten, die er getan hatte. Der Messias hatte sie jetzt aber zu der ganz praktischen Erkenntnis geführt, dass die göttliche Kraft in ihnen nicht nur gegenwärtig, sondern wirksam ist. Damit allerdings gehörten sie jetzt nicht mehr sich selbst, sondern sie gehörten jetzt Gott, sie waren, wie schon vor ihnen von ihrem ganzen Volk gesagt worden war „Gottes besonderes Eigentum.“

Jetzt jedoch war diese Möglichkeit nicht mehr beschränkt auf dieses Volk. Deshalb hatte Jesus ihnen nur Stunden vor seinem Tod gesagt, nach seiner Auferstehung würde er ihnen vorausgehen nach Galiläa, in die Provinz nächst zu den Heiden, damit sie von dort aus den wirklichen Glauben in die Welt hinaustragen konnten – nämlich nicht eine Sammlung wahrer Sätze, sondern eine im Leben wirksame Kraft.

 

Das also war Ostern – und was kommt dann?

 

Nun versammelten sich die Jünger täglich, fünfzig Tage lang, die ganzen sieben Wochen bis zum nächsten großen jüdischen Fest, Schawuot. Und sie verbrachten diese fünfzig Tage damit, sich an jedes Detail ihrer Erlebnisse mit Jesus zu erinnern. Fünfzig Tage intensivste Rekapitulation.

Fünfzig Tage lang durchlebten sie nun alles, was sie mit Jesus erlebt hatten noch einmal. Fünfzig Tage lang war Jesus intensiver unter ihnen gegenwärtig als oft zuvor, wenn sie seine Gegenwart einfach als normal betrachtet hatten. Nicht ein Gespenst war jetzt gegenwärtig und natürlich keine wiederbelebte Leiche, sondern das, was er gewesen war. Und diese Gegenwart war so intensiv, wie wenn er körperlich anwesend gewesen wäre. Deshalb hat sie sich in Geschichten niedergeschlagen, die Jesus körperlich erscheinen lassen. Weil die Gegenwart Jesu aber in einer Rekapitulation geschah und nicht physisch war, wollte der Evangelist Markus keine einzige der Geschichten von den Erscheinungen des Auferstandenen in sein Evangelium übernehmen.

 

 

Auch bei den Juden hatten die fünfzig Tage nach Pesach bereits eine besondere Bedeutung gehabt. Sie dienten der Vorbereitung auf die Gesetzgebung am Sinai. Nach fünfzig Tagen bekamen die Israeliten ihre eigene Verfassung. Deshalb feiern die Juden fünfzig Tage nach Pesach das Fest zum Gedenken an die Gesetzgebung am Sinai, Schawuot.

Auch die Apostel bekamen nach ihren fünfzig Tagen der Rekapitulation so etwas wie eine eigene Verfassung – die neue Verfassung war jetzt aber nicht mehr das Mosaische Gesetz, denn jede und jeder von ihnen war nunmehr direkt der schöpferischen Kraft unterstellt, dem heiligen Geist.

 

Und so stellt die Apostelgeschichte dieses Ereignis dar:

 

Apg 2,1 Als der fünfzigste Tag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. 2 Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren.

3 Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. 4 Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Zungen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.

5 In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden.

 

Die intensive Rekapitulation ihrer Erlebnisse mit Jesus wirkte sich so aus, dass sie nun nach fünfzig Tagen genau wussten, wie Jesus gewirkt hatte – und damit wussten sie auch, was sie zu tun hatten. Das erfüllte die Apostel, die Frauen und die anderen Jünger, die bei ihnen waren, mit einem mal mit einer solchen Begeisterung, dass sie nur noch im Haus herum tanzten und jubelten. Dabei machten sie solchen Lärm, dass auf der Straße die Leute zusammenliefen, um zu sehen, was da los war.

„Vom Himmel her“, heißt es, also von der Erfüllung ihres Traumes, kam dieser Sturm der Begeisterung. Sie war wie ein loderndes Feuer, das jeden erfasste. Die Apostel machten nicht irgendetwas, sondern „es“ kam ganz spontan aus ihnen heraus. Sie sangen und plapperten drauflos, was ihnen gerade in den Sinn kam. Das klingt wie die babylonische Sprachenverwirrung, war aber genau das Gegenteil, denn obwohl sie alle diese unterschiedlichen Laute von sich gaben, wussten die Zuhörer, egal welcher Muttersprache, genau, was gemeint war.

Zu dem großen jüdischen Fest waren nämlich viele Pilger in der Stadt aus den vielen Ländern des römischen Reichs. Sie sprachen alle möglichen Sprachen, doch alle fühlten sich angesprochen.

Tausende, so scheint es, weil später dreitausend getauft wurden, waren dort auf der Straße zusammengeströmt.

 

12 Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? 13 Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken.

 

Manche von den Leuten draußen hatten andere Gedanken. Einige müssen wohl zum Fenster hineingeschaut haben und die Apostel dort herumtanzen gesehen haben. Vielleicht haben sie von einem Baum aus ins Haus geschaut und dann zu den anderen hinuntergerufen: Die sind nur betrunken!

Das wieder hörten die Apostel im Haus und traten ans Fenster. Überrascht, diese Menschenmenge zu sehen, begann Petrus den Leuten zu erklären, was geschehen war. Und er erzählte die ganze Geschichte von Jesus, wie sie ihn kennen gelernt hatten, was er getan hatte, dass sie geglaubt hatten, er sei der Messias, dass er dann aber getötet worden war, und dass er sich dann tatsächlich als der Messias erwiesen habe, weil er in ihnen wieder lebendig geworden sei.

 

24 Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt; denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde.

 

Und Petrus erklärte, dass dem Glauben, den Jesus gehabt hatte, der Tod nichts anhaben habe können. Durch seinen Glauben sei Jesus in ihnen zu neuem Leben erwacht, sie seien dadurch seine Nachfolger geworden und auch jeder von den Zuhörern hier habe die Kraft in sich, ebenfalls zu seinem Nachfolger zu werden.

 

37 Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?

38 Petrus antwortete ihnen: Kehrt um und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.

 

Die Begeisterung des Petrus sprang über und viele entschlossen sich, Nachfolger des Messias zu werden.

Natürlich kann der Glaube nur wirken, wenn sich jemand der schöpferischen Kraft vollkommen anvertraut. Deshalb ist es notwendig umzukehren, sein Leben neu zu orientieren, auf die Stimme der Kraft, also auf die innere Wahrheit zu hören. Erst dann kann der Geist wirken.

In jedem Menschen ist die Sehnsucht nach dieser Art Leben aus der Wahrheit. Die Zuhörer des Petrus fühlten sich angesprochen und dreitausend, so heißt es, ließen sich an diesem Tag taufen.

Das war die Geburtsstunde der neuen Religion, des Christentums. Und so sah diese neue Religion aus:

 

44 Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. 45 Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.

46 Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens.

47 Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten.

 

„Gläubig geworden“ heißt, dass sie dann den Glauben hatten, den schon die Kranken entwickelt hatten, als sie in der Begegnung mit Jesus gesund geworden waren. Sie glaubten also daran, dass die schöpferische Kraft ganz real in ihnen wirkt und dass sich daher ihre Sehnsucht erfüllen kann. Deshalb nahmen sie das „Dein Reich komme“ wörtlich und taten alles in ihrer Macht stehende, den Himmel auf die Erde zu holen.

 

Und die Apostel setzten auch in anderer Hinsicht fort, was Jesus getan hatte:

 

3,1 Petrus und Johannes gingen um die neunte Stunde zum Gebet in den Tempel hinauf. 2 Da wurde ein Mann herbeigetragen, der von Geburt an gelähmt war. ...

6 Petrus aber sagte: Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher!

7 Und er fasste ihn an der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich kam Kraft in seine Füße und Gelenke;

8 er sprang auf, konnte stehen und ging umher. Dann ging er mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.

 

Jetzt sind die Apostel keine Kleingläubigen mehr. Jetzt tun sie die Dinge, die Jesus getan hat. Nach fünfzig Tagen Klausur wagen sie sich jetzt unter die Menschen.

Und auf dem Weg in den Tempel treffen sie auf einen Gelähmten. Jetzt haben sie das Vertrauen, das ihnen zu Lebzeiten Jesu gefehlt hatte. Jetzt glauben sie, dass es möglich ist. Und ihr Vertrauen überträgt sich auf den Gelähmten. Und der glaubt plötzlich auch, dass es möglich ist und er steht tatsächlich auf und geht mit ihnen in den Tempel...
Bibelstellen zur schöpferischen Kraft im Menschen

 

Gen 1,2: die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über dem Chaos und Gottes Geist schwang über dem Abgrund.

 

Gen 1,26: Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. ... 1,27: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn.

 

Gen 12,3 (Abraham): Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.

 

Ex 3,2: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. 3 Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht? ...

 

3,10 Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus! 11 Mose antwortete Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte? 12 Gott aber sagte: Ich bin mit dir; ich habe dich gesandt ...

 

Ex 3,14: So sollst du zu den Israeliten sagen: Jahwe, der «Ich bin der ich bin», hat mich zu euch gesandt.

3,15: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen Generationen.

 

Ex 20,2: Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.

3 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. ...

5 Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation;

6 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.

 

Mk 11,22: Jesus sagte zu ihnen: Ihr müsst Glauben an Gott haben.

23 Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen.

24 Darum sage ich euch: Alles, worum ihr betet und bittet - glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil.

 

Joh 14,12: Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere vollbringen

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